Architekturwirklichkeiten II: Salzburg
Alle Bausünder kommen ins Himmelreich
Gespräch„Es gibt derzeit keine andere Stadt in Mitteleuropa, die derart umfassend die Zukunft ihrer selbst thematisiert und in praktischen Angriff nimmt. Kleinmütig und fragmentarisch wirken im Vergleich zum Salzburg-Projekt die Initiativen der IBA in Berlin, [...] die Wiener Wohnbauiniti-ative, [...] die monumentalen Staatsprogramme von Paris ...“ So Dietmar Steiner 1986 in sei-nem Vorwort zum Buch „Das Salzburg-Projekt“. Der inzwischen legendäre Aufbruch zu einer offenen, sowohl partizipatorischen und als auch architektonisch qualifizierten Form der Stadt-planung war bei der Diskussion, zu der die Architekturstiftung am 14.September 2001 geladen hatte, kein explizites Thema. Ein wenig Nostalgie schlich sich aber doch am Rande ein. Als ich das kleine, quadratische Büchlein (für Bibliophile: Das erste Buch 2 im Falter Verlag, von Eichinger/Knechtl in Le Corbusiers Modulor Format von 145 mal 145 mm gestaltet) zu meinen Unterlagen auf den Tisch legte, meinte einer der Gesprächteilnehmer nicht ohne Selbstironie: „Ach ja, unsere Bibel“. Dem großen Aufbruch ist die Normalität gefolgt. Das vielfach kopierte Modell des Gestaltungsbeirats wird in der Stadt Salzburg nach wie vor als wesentliches Qua-litätsinstrument gesehen, Reformbedarf gibt es dennoch: Zu sehr ist der Beirat auf die Ebene des Einzelobjekts beschränkt, in städtebaulichen Fragen fehlt es an Orientierung. Die anhaltende und nie aufgelöste Uneinigkeit zwischen Stadt und Land Salzburg hat dazu geführt, dass Raumordnungskonzepte entweder fehlen oder zur Ineffizienz verurteilt sind. Symptomatisch zeigt sich dieses Defizit bei einzelnen Großprojekten und bei der Entwicklung des diffusen Speckgürtels, der sich um die Stadt Salzburg ausbreitet. In den ländlichen Regionen besteht zarte Hoffnung, dass die jahrelange Stagnation im touristisch standardisierten Mittelmaß aufbricht. Gestaltungsbeiräte gibt es zwar auch dort schon lange; sie werden jedoch oft von den lokalen Platzhirschen zur Absicherung des Status Quo missbraucht. Immer mehr Gemeinden suchen jedoch nach einer Identität jenseits des touristischen Einheitsbreis und damit nach neuen Partnern. Was die Rolle der ArchitektInnen betrifft, sind sich die teilnehmenden Bauherrenvertreter in einem Punkt einig: Wer nichts von Ökonomie versteht, hat keinen Platz mehr in den heutigen Planungsspielen. Dass man den ArchitektInnen aber auch entsprechende Kompetenzen einräumen muss, damit sie ihre Verantwortung übernehmen zu können, scheint sich aber noch nicht allgemein herumgesprochen zu haben.
Christian Kühn
Den Volltext des Gesprächs in der Publikationsversion aus dem Architektur & Bauforum finden Sie unter den Mediadaten zu diesem Event.