Schöne Wasserbaukunst
FORUM empfiehlt, 26.7.2010
Während die Architektur bei der Einteilung der Künste in „schöne“ und „nützliche“ Glück hatte und sich nach wie vor in beiden Bereichen positionieren darf, ist die „schöne Wasserbaukunst“ weitgehend in Vergessenheit geraten. Wasserbau ist eine ernsthafte Aufgabe für Ingenieure, die Kanäle und Deiche projektieren. Springbrunnen und andere feuchte Spritzwerke gelten bestenfalls als Dekoration. Wer „schöne Wasserbaukunst“ auf höchstem Niveau erleben möchte, hat jedoch seit kurzem in Wien wieder Gelegenheit dazu. Die Sanierungsarbeiten im Garten des Schlosses Belvedere sind – bis auf das große Wasserbecken auf der südlichen Seite des Schlosses – abgeschlossen und jedenfalls einen Besuch wert. Entworfen wurden Garten und Wasserspiele zu Beginn des 18. Jahrhunderts vom Gartenarchitekten Dominique Girard, dem maître fontainier des Nymphenburger Schlossparks. Dessen Auftraggeber, der bayrische Kurfürst Max Emanuel, gestattete Girard zwischen 1717 und 1722 mehrere Aufenthalte in Wien, wo er gemeinsam mit Johann Lukas von Hildebrandt an den Entwürfen arbeitete. Garten und Wasserspiele wurden gemeinsam mit dem Palais projektiert und sind daher keine Zutat, sondern integraler Bestandteil der Anlage, wie man schon bisher bei einem Spaziergang anhand der raffinierten Perspektivwechsel erahnen konnte. Erst durch die Aktivierung der Wasserspiele nach der Renovierung wird die Idee dieses Gartens aber in ihrer vollen Dimension verständlich. Dem Wiener Stadtgartenamt wären Exkursionen hierher zu empfehlen. Vielleicht begreift es irgendwann, dass Gartenkunst etwas mit Architektur zu tun hat und sucht Kontakt zu den Girards und Hildebrandts von heute. (Die Brunnen des Belvedere sind in den Sommermonaten zwischen 10:00 und 12:00 und zwischen 14:00 und 17:00 in Betrieb).
Christian Kühn
Vorstand der Architekturstiftung Österreich