...vor Fortschrittsgläubigkeit
Forum - anders als geWohnt, 30.04.2012
Es muss sich wohl jede Generation erneut mit der Erfahrung herumschlagen, dass einmal gewonnene Erkenntnisse niemals gesichert sind. Wir können jederzeit hinter unsere einmal entfalteten Möglichkeiten zurückfallen. Bezogen auf die Architektur ist die Gefährdung von kulturellen Werten daher keinesfalls ein rein physisches Problem. Jedenfalls kein Phänomen der Dinge und ihrer unver-meidlichen Eigenschaft, zu verwittern. Engagement gegen die Zeit ist immer ein Kampf. Doch erst wenn die mentale Bindung, die mit dem Alters- oder Denkmalwert eines Gebäudes nur bedingt zu tun hat, verloren geht, die Überzeugung, dass man (in diesem oder jenem Bau) eine ungewöhnliche und bereichernde geistige Leistung vor sich hat, steht der Denkmalschutz auf verlorenem Posten. Es könnte dann ein Haus aus der Zeit der Moderne jederzeit durch ein Gebäude im „colonial style“ ersetzt werden. Nicht dem abgerissenen Gebäude, sondern dem ihm zugrunde liegenden Gedanken kann man dann nachtrauern. Wer schützt Gedanken vor ihrem Verfall? Wer kann einen Rückfall in scheinbar überwundene Gesellschaftsformen aufhalten? Wann werden Richter wieder anfangen Perücken zu tragen?
von Gabriele Kaiser für das AFO architekturforum oberösterreich